Gelb

Ein Prolog, eine Geschichte und ein Epilog...

Sie saß am Schreibtisch und kaute auf ihrem Stift, was sonst gar nicht ihrer Gewohnheit entsprach. Im Gegenteil, sie konnte es gar nicht leiden, wenn jemand auf guten Schreibwaren herumkaute, die sie doch so mochte. Aber dies war eben eine besondere Situation, die daher besondere Maßnahmen erforderte. Sie hatte zur Inspiration extra einen gelben Stift genommen und dass sie darauf kaute, lag an ihrer Nervenanspannung. Aber weder das Gelb, noch das Kauen half.
Ihr kam der Anfang eines sehr bekannten Buches in den Kopf ("Gelb", dachte Arthur Dent...), was eher hinderlich war....
Sie hatte ursprünglich eine wirklich schöne Geschichte über einen Vogel verfasst, der in die große, gelbe Sonne fliegt. Und die Sonne war der Tod. Was für eine Metapher, was für eine wunderschöne Geschichte, sogar der Vogel war glücklich gewesen, aber irgendwie war diese Geschichte dann doch etwas zu theatralisch für den Anlass...
Sie erwog eine Geschichte über eine gelbe Löwin oder eine über Zauberer Klaus, der ein kaiserliches Goldgelb zaubern muss - da wäre immerhin noch ein individueller Bezug...
Sie seufzte und stand auf.
In der Küche wurde sie fündig: Honig! Honiggelb! Und das schmeckte auch besser als der Stift... aber es war auch nicht gerade das Gelbe vom Ei. Und war das nicht eher Orange? Ihr kamen Zweifel. Sie kleckerte damit ein bisschen herum und suchte weiter.... gelbe Topflappen..... gelbe Tassen..... und Kamillenshampoo! (Da hatte sie die Küche allerdings bereits wieder verlassen.) Und der Wickelrock! Sowas von gelb! Und die Uhu-Tube... das Langenscheidt-Wörterbuch..... das gelbe Löschpapier... naja, das war etwas blass.
Verflixt! Und wo war nun die Pointe?
Frustrierend, einfach frustrierend.
So konnte das alles nichts werden. Vielleicht sollte sie mehr aus ihren Erfahrungen schöpfen oder zumindest in Bereiche gehen, die sie besser kannte..... Gelbfieber? Gelbsucht?
Ach Du Schande. Hoffnungslos.
Daraufhin dachte sie ziemlich lange über eine Geschichte nach, die folgenden Ausgang haben sollte:
"Du hast Rot!", schrie sie mich an, aber die Ampel war erst
gelb.
Dieses Ende war genial! Das war bisher ihre beste Idee und sie erfüllte neue Hoffnung. Aber als sie zu schreiben anfing, wurde es alles immer grotesker und lächerlicher, weil ihr einfach keine vernünftige Handlung einfallen wollte, die zu diesem Ende führen könnte.
Sie kaute wieder auf dem Stift, denn angeblich regt Kauen ja die Hirnfunktion an.
Kaisergelb, goldgelb, sonnengelb, honiggelb, kamillenshampoogelb...... Eine warme schöne Farbe, die gute Laune macht. Und trotzdem als Farbe des Neides und der Eifersucht gilt. "Wie ungerecht", murmelte sie müde und legte den Kopf auf einen Arm..... Topflappengelb, wickelrockgelb, uhu-tubengelb......

Das Gelb war sauer. Daher war es ein ziemlich zitronensaures Gelb. "Ach ja? Das war also eine tolle Geschichte mit der Sonne und dem Vogel? Dass ich nicht lache!" sagte es gerade und schillerte wütend und grell. "Aber die Symbolik", setzte ich an und überlegte gleichzeitig, warum nur das Gelb so wütend war. "mit allem eins werden, Licht werden......" weiter kam ich nicht. "Und was bitte hat das mit mir zu tun?!?" "Naja, die Sonne ist doch gelb..." sagte ich kleinlaut. Das Gelb musterte mich verächtlich. Ich versuchte es anders: "Ich meine, Du könntest eigentlich stolz sein, die gelbe Sonne, die uns alles Leben bringt...." "Ach was, ich dachte, sie bringt den Tod?" "Ja.... schon", ich war verwirrt. Mist, jetzt hatte es mich voll erwischt. Ein Themenwechsel musste her.
"Warum bist Du überhaupt so böse auf mich?"
Das Gelb schmollte eine Weile. Schließlich bequemte es sich zu einer Antwort: "Seit Ewigkeiten hast Du Grüne Seiten und sonst ist alles bei Dir blau. Wo bleibe ich da?" Darüber hatte ich nie nachgedacht, was sollte ich sagen? "Rot z.B., das gibt's bei mir doch auch kaum", fiel mir dazu nur ein. "Na, das musst Du schon mit Rot selbst ausmachen!" entgegnete Gelb schnippisch. Ich verlegte mich aufs Schmeicheln, auch wenn dieses Zitronengelb eigentlich nicht mein Geschmack war: "Aber ich mag Gelb! Ehrlich, ich mag Dich sogar sehr, Du bist eine wunderschöne Farbe!" Das Gelb grummelte irgendwas, aber dieses Kompliment blieb nicht ohne Wirkung, sein Farbton wurde etwas sanfter. "Und warum stehst Du dann nicht dazu?" fragte es. "Wie bitte?" "Na, der Wickelrock z.B. - du hattest ihn noch nie an!"
Ich war entsetzt. Das Gelb hatte recht!
Ich geriet ins Stottern: "Ja, ich... aber.... das Kleid mit den gelben Blüten..." "das ist hauptsächlich blau", erinnerte mich das Gelb. Ich war fassungslos. Und Gelb spielte immer noch die beleidigte Gelbwurst - Entschuldigung - Leberwurst.
Plötzlich hatte ich die Nase voll, weswegen rechtfertigte ich mich überhaupt? "So", sagte ich, "jetzt weiß ich auch endlich, warum Gelb für Neid und Eifersucht steht!"

Sie schreckte hoch. Was für ein Alptraum!
Erstmal musste ihr dieser gelbe Stift aus den Augen.
Und dann würde sie ins Bett gehen - den blauen Schlafanzug anziehen, unter die blaue Bettwäsche kriechen, die blauen Vorhänge zuziehen und die blaue Lampe ausknipsen.
Was für eine Erholung....

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