Lied der Jahre
von Rudolf Hagelstange


Wer bin ich und wie halte ich die Jahre,
die glühn, verflackern, löschen wie der Mohn?
Wohin der Duft? Und wer bewahrt den Ton?
Hoch flog der Ball im Aufwind junger Jahre.
Nun fällt er schon ... ?

Ist dies verloren, ist es je gewesen?
Schlaf unter Sternen; Küsten meerumblaut;
der Ströme Wandern; Städte hochgebaut?
Ich könnte wieder alte Straßen gehen ...
Sie wären nicht vertraut.

Wer bin ich, da mir dies entsunken?
Und wer, vor dem, das Zukunft mir gespart?
Und wer, vom Winde schwach, vom Weine trunken,
inmitten dieses Schwarms und dieser Fahrt
von Seelenvögeln und von Geisterfunken?
Gib Antwort, Gegenwart!

Ich bin, ich atme - eines: Mund und Flöte.
Ich spiele mir ein Lied; ich bin das Lied.
Ich bin der Hauch, der durch die Höhlung zieht,
der Spieler und das Spiel, der Leib der Flöte,
der Flöte Lied.

Was frag ich nach dem Lied verschollner Jahre ...
Ich bin, ich atme. Hör ich nicht den Ton!
Hell schwebt die Wolke. Leuchtend brennt der Mohn.
Die Flöte harrt. Lass singen deine Jahre.
Ich hör sie schon.


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